Seit 1988 organisierten die verschiedenen Vereine feministischer Juristinnen in der Schweiz regelmässig gesamtschweizerische Fachtagungen zu Themen aus dem Gebiet "Frau und Recht". Diese Tagungen ermöglichten einen überregionalen Erfahrungsaustausch und führten zu weiteren lokalen Zusammenschlüssen feministischer Juristinnen.
Im Juli 1989 trafen sich fünf Juristinnen aus St.Gallen und Umgebung, um den Aufbau einer Gruppe von feministisch orientierten Juristinnen zu diskutieren. Die Statuten des Vereins Feministische Juristinnen Ostschweiz fjo wurden anlässlich der Gründungsversammlung im August 1990 genehmigt. Der Zweckartikel lautete: "Ziel und Zweck des Vereins sind die Vernetzung von feministischen Juristinnen und die Besserstellung der Frau in Recht und Gesetz."
In einem Grundsatzpapier wurde die Schwierigkeit, als Juristin feministisch zu sein, beschrieben: Die Juristin arbeitet in einer traditionslastigen Männerdomäne, der Justiz, in der "mächtigsten und hartnäckigsten Konserve von patriarchaler Struktur und Gedankengut: Männlich definierter Herrschaftsapparat, strenge Hierarchie, männliche Gesetztessprache." Daher ist es nur verständlich, wenn mit dem Berufsbild der Juristin die Eigenschaften konservativ und bürgerlich assoziiert werden. "Als Juristin feministisch zu sein ist deshalb ein täglicher Balanceakt auf dem hohen Seil - und zwar ohne Netz. Denn schlecht wird es vermerkt, wenn sie es wagt, die bestehenden Werte und Normen der Kritik zu unterziehen und sie auf ihre Gültigkeit und Menschlichkeit hin zu untersuchen."
In der fjo finden die feministischen Juristinnen aus dem Raum Ostschweiz (SG, TG, GR, AR,AI) die nötige Unterstützung für die Durchsetzung ihrer Anliegen. Die Gruppe dient als Netz im Sinne von Sicherheit und Schutz. Ungerechtigkeiten sexistischer Art werden zur Sprache gebracht und diskutiert und die einzelne Frau in ihrem Engagement bestärkt.
Die Gruppe dient auch als Netz im Sinne der Vernetzung von Berufskolleginnen. Sie bildet den Stützpunkt, wo wichtige Informationen zum Berufsalltag, Stellenmarkt, aber auch Spezialwissen ausgetauscht werden können.
Der Hauptakzent der Tätigkeit der fjo liegt auf der Öffentlichkeitsarbeit. Ihr Ziel ist es, die feministische Sichtweise in alle Bereiche des Rechts einzubringen. Sie nimmt Einfluss bei der Ausarbeitung von kantonalen und eidgenössischen Gesetzesvorlagen durch direkte Mitarbeit oder durch Vernehmlassungen. Dies schliesst das Engagement für Frauenförderung und -beteiligung in der Verwaltung und auf Regierungsebene mit ein, ebenso die Anerkennung eines feministischen Weltbildes als Gegenkultur und die Entlarvung der alltäglichen Sexismen in der Gesetzessprache und Gesetzesanwendung.
So organisierte die fjo im Januar 1992 in Weinfelden die 4. Feministische Juristinnentagung mit dem Thema "Streit muss Frau nicht scheiden". Dabei sollten "Kopf und Bauch der Juristinnen" angesprochen, ihr Denken und Fühlen mobilisiert werden. Zwei Themen standen im zentrum der Tagung: Das neue Scheidungsrecht und die Streitkultur unter Frauen.
Anlässlich einer "Zukunftswerkstatt" im November 1993 entwickelte die fjo ein Leitbild mit folgenden Aspekten: Wir verändern die männerdominierte Welt; Frauenwelten; Frauenpower - Power-Frauen; Im Rampenlicht; Innenleben.
(Quellen: Selbstdarstellungen, Statuten, Leitbild)
Der Bestand enthält die Namen der folgenden Personen:
Namensverzeichnis, ca. 1990:
Hauser Gabriela, St.Gallen
Schmid Regula, St.Gallen
Anderegg Karin, St.Gallen
Myriam Rehsteiner-Cabernard, St.Gallen
Jöhl Dagmar, Bronschhofen
Paminger Monika, Wil
Rüegg Marie-Theres, St.Gallen
Hälg-Büchi Véronique, St.Gallen
Mattle Lisbeth, St.Gallen
Grob Brigitte, St.Gallen
Allenspach Mäusli Marlis, St.Gallen
Löhrer Marie, St.Gallen
Schegg Lisa, St.Gallen
Dick Anne, Winterthur
Göbel-Keller Gerda, Lichtensteig
Überarbeitung: Christina Nanz, 13.04.2023
Bis ins Jahr 2010 verwendete das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte bei der Erschliessung ein standardisiertes Klassifikationsschema mit einem vorgegebenen Dezimalsystem für die verschiedenen Kategorien (z.B. 10 = Selbstdarstellungen, 20 = Statuten/Reglemente). Die Seriennummern und -titel, der bis 2010 erfassten Bestände, basieren auf diesem Klassifikationsschema:
Eine weitere Besonderheit der Verzeichnung: Um die Namen von Frauen gezielt zu dokumentieren, wurde in den zuvor verwendeten Findmitteln jeweils ein eigenes Feld („Namenskarte“) definiert. Die Informationen sind nun im Feld „Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben“ zu finden.
Die Verzeichnung folgt dem internationalen Archivstandard ISAD(G).