menü
Papierbestände
Werkstatt Frauensprache St.Gallen
Signatur AFGO.029
Entstehungszeitraum 1985 - 2002
Umfang 1 m
Provenienz Werkstatt Frauensprache St.Gallen
Subprovenienz 1: Lehrmitteluntersuchung
Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben

Die Werkstatt Frauensprache St.Gallen WFS wurde im Juli 1985 in St.Gallen von vier Frauen ins Leben gerufen. Anstoss dazu gab ein Workshop zum Thema Frauensprache im Oeko-Zentrum Stein mit Frau Prof. Senta Trömel-Plötz.
Die Zielformulierung lautete 1988: Wir suchen und festigen unsere Identität als Frauen in Sprache, Gesellschaft und Geschichte und tragen sie nach aussen.

Ab September 1985 trafen sich die Aktivistinnen monatlich einmal an einem Samstagnachmittag, die Treffen wurden jeweils von ausgebildeten Gruppenleiterinnen geleitet. Es bildeten sich Teilgruppen, so die Aktions-Gruppe oder die Tagebuch-Gruppe.
Bis Herbst 1986 unternahm die Werkstatt Frauensprache folgende Aktivitäten: Druck von Karten für schnelle Reaktionen; Teilnahme an einem Selbstverteidigungskurs in Stein/AR; Intervention bei der SBB, damit die Gültigkeit von Familienkarten auch auf Alleinerziehende ausgedehnt wird; Intervention bei Radio DRS betr. Schlager "Jeanny" von Falco; Briefaktionen mit Stellungnahmen zu frauenfeindlicher Werbung, zu Witzen und zu verschiedenen Zeitungsartikeln.
Im Herbst 1986 erfolgte eine Neuorientierung. Auf eine ständige Gruppenleitung sowie das Schreiben von Protokollen wurde verzichtet zugunsten einer wechselnden Gruppenleitung.
Die aufgegriffenen Themen waren vielfältig. Die WFS diskutierte das Buch "Gewalt durch Sprache" von Senta Trömel-Plötz und beschäftigt sich mit der Geschichte der Frauen. Im Juni 1986 organisierte die WFS einen Selbstverteidigungskurs in St.Gallen.
Am Bistumstreffen 1986 bot die WFS einen Workshop an mit dem Titel "Neue Wege für Mann und Frau in Arbeit und Familie. Realität oder Utopie?"
Ab 1987 beteiligte sich die Kerngruppe am Aufbau der Frauenbibliothek Wyborada.
Die WFS engagierte sich in weiteren Bereichen: Interventionen bei Frauendiskriminierung seitens verschiedener Institutionen; Beratungs- und Unterstützungsarbeit bei Unsicherheiten im ausgewogenen Sprachgebrauch; sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter allgemein; Interventionen betr. frauenfeindliche Werbung; Leser/innenbriefaktion aufgrund der Verhamlosung des Frauenhandels im preisgekrönten Film "Leo Sonnyboy"; Untersuchung der "Spiele des Jahres" auf geschlechterspezifische Rollenmuster und gleichmässige Berücksichtigung der Geschlechter; Interventionen betr. Überarbeitung des Duden; Vortragstätigkeit; Leserinnenbriefe zum Thema Sexismus; Teilnahme an der Ostschweizerischen Bildungsausstellung OBA, Interventionen zur OBA-Zeitung; Interventionen betr. Spielzeugkatalog der Firma Pastorini; Unterstützung einer SP-Kantonsrätin betr. Vorstoss sprachliche Gleichbehandlung der Geschlechter in der Amtssprache; Vernehmlassung über Leitideen und Rahmenbedingungen des neuen Lehrplanes.
Die letzte Aktion bildete eine Intervention betr. Appenzeller Witz-Wanderweg Ende 1996.
Mit einem Leserinnenbrief aufgrund einer Kolumne im "Rheintaler" verabschiedete sich die WFS endgültig von der Öffentlichkeit und nahm verwies dabei gleichzeitig darauf, dass das Archiv der WFS im AFGO zugänglich ist.


Beurteilung von Lehrmitteln

Aus eigener Initiative und aufgrund persönlicher Betroffenheit erarbeitete die WFS unter Federführung von Jolanda Spirig-Zünd im Herbst 1987 in Gratisarbeit die Untersuchung "Wie mädchenfreundlich sind unsere Lesebücher?". Die Untersuchung wurde an Medien verschickt, an Lehrer/innenzeitungen sowie an das Erziehungsdepartement des Kantons St.Gallen. Dieses nahm die Ergebnisse zur Kenntnis und gab gleichzeitig selbst eine Lesebuch-Untersuchung in Auftrag. Die WFS übte heftige Kritik an diesem Vorgehen.
Einige Lehrerinnen und Lehrer verurteilten die Lehrmittelkritik, indem sie die Autorinnen als "hysterische Emanzen" bezeichneten. Polemiken in dieser und ähnlicher Form beantwortete die WFS dezidiert. In den Medien wurde die Untersuchung ausführlich diskutiert, Jolanda Spirig-Zünd hielt zahlreiche Vorträge. Trotz breiter Resonanz und ungeachtet des mehrjährigen Einsatzes wurden in der Neugestaltung von Lehrmitteln die kritischen Hinweise kaum berücksichtigt. Einige der 1990 neu erschienenen Lesebücher aus verschiedenen Lehrmittelverlagen müssen weiterhin als mädchenfeindlich bezeichnet werden.

Im September 1988 bildete sich in Zürich eine Arbeitsgruppe "Gleichberechtigung in Lehrmitteln". Anlässlich der Neubearbeitung von Lehrmitteln im Kanton Zürich will die Gruppe die Gleichberechtigung in Lehrmitteln fordern. Die WFS stellte sich zu Beginn als Kontaktstelle zur Verfügung.

Der Bestand enthält die Namen der folgenden Personen:
Kerngruppe 1985:
Johanna Hidber; Alice Niklaus; Ruth Schütter-Schwager; Hilde van Westing; 1986 kommt Jolanda Spirig-Zünd dazu, etwas später Katja Koch-Biber.
Alexa Lindner-Margadant, die schon 1972 den Artikel "Frauenbild in Lehrmitteln" veröffentlicht hat, unterstützt die WFS bei der Erarbeitung der Lehrmittelkritik.

1996:
Ruth Schwager Schütter; Hilde van Westing; Katja Koch; Jolanda Spirig

Bestandsgeschichte Die Unterlagen der Werkstatt Frauensprache St.Gallen wurden dem AFGO von Aktivistinnen im Dezember 1999 übergeben.
Form und Inhalt Der Bestand enthält: Selbstdarstellungen; Protokolle; Verzeichnisse; Unterlagen zu Sachgeschäften; Unterlagen zu Arbeitsgruppen; Unterlagen zu Vernetzungen; Unterlagen zur Medienöffentlichkeit; Materialien und Dokumentationen, die z.T. in den Werkstätten diskutiert wurden.
Er umfasst Dokumente von 1985 bis 2002 in 10 Archivschachteln.
Neuzugänge Es erfolgte eine Nachlieferung im Oktober 2002. Es werden keine weiteren Nachlieferungen erwartet.
Zugangsbestimmungen Der Bestand ist im Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte Ostschweiz ohne Benutzungseinschränkungen einsehbar.
Sprache/Schrift Deutsch
Bearbeiter:in und Zeitraum der Verzeichnung Sabin Schreiber, 04.12.2002
Überarbeitung: Adriana Lusti, 15.06.2023
Verzeichnisgrundsätze

Bis ins Jahr 2010 verwendete das Archiv für Frauen-, Geschlechter- und Sozialgeschichte bei der Erschliessung ein standardisiertes Klassifikationsschema mit einem vorgegebenen Dezimalsystem für die verschiedenen Kategorien (z.B. 10 = Selbstdarstellungen, 20 = Statuten/Reglemente). Die Seriennummern und -titel, der bis 2010 erfassten Bestände, basieren auf diesem Klassifikationsschema:

Eine weitere Besonderheit der Verzeichnung: Um die Namen von Frauen gezielt zu dokumentieren, wurde in den zuvor verwendeten Findmitteln jeweils ein eigenes Feld („Namenskarte“) definiert. Die Informationen sind nun im Feld „Verwaltungsgeschichte/Biografische Angaben“ zu finden.

Die Verzeichnung folgt dem internationalen Archivstandard ISAD(G).